Werk 'O'

Vom Torpedo
bis zur Estafette

Von Anfang an war Louis Renault ein Freund der Systematik. Daher beschloss er, seine Produkte fortlaufend mit Buchstaben zu versehen. Das erste Auto war der Typ A, das nächste ein B, und nach dem Z kam das Modell AA. Auf die gleiche Weise erhielten die verschiedenen Gebäude in Billancourt “Namen”. Es hing einfach von der Reihenfolge ab, in der sie gebaut wurden. So wurde am Ende des Ersten Weltkriegs der Fabrikkomplex "O" am Ufer der Seine errichtet.

Holzgebäude

Vor dem Bau war das Gelände leicht abschüssig und beherbergte eine Art Slum, in dem Obdachlose und Landstreicher Unterschlupf fanden. Das Grundstück lag an der Seine, außerhalb der Stadt Paris, etwa dort, wo die Île Saint-Germain beginnt (die andere Insel im Fluss östlich der Île Seguin). Während des Krieges gehörte das Grundstück teilweise zur Militärzone und es durften dort laut Vorschrift keine dauerhaften Gebäude errichtet werden. Die Fabrik "O" war daher ursprünglich ein Holzgebäude, in dem zunächst Holzkarosserien hergestellt wurden. Die Bauarbeiten fanden zwischen 1916 und 1918 statt.

Foto: Die "O"-Fabrik im Aufbau im Jahr 1918.

Endgültige Form

Bald nach dem Krieg nahm das Gebäude jedoch seine endgültige Form an. Das gesamte Areal wurde von Straßen begrenzt, auf der Seine-Seite vom quai du Point-du-Jour und außerdem von der rue des Peupliers. Das Gebiet erhielt eine neue Bestimmung. Gaststätten und Baracken der Seine-Fischer machten Platz für die neuen Gebäude. Louis Renault kaufte das Gelände 1914 von der Firma Billault, die dort chemische Produkte herstellte. Zunächst wurden Flugzeugteile für Farman und Voisin produziert, und bis Kriegsende wurden auch die Rümpfe der Bréguet-Flugzeuge mit 190- und später 300-PS-Renault-Motoren ausgestattet.

Foto: Der überwiegend manuelle Aufbau von Karosserien, vor allem in Holz.

Nach dem Krieg wurden Fertigungsstraßen für die Karosserien installiert, ebenso das Sägewerk und die Schreinerei. 1920 wurde die "O"-Fabrik vom Werkstoff Holz beherrscht. Hier wurden die Fahrgestelle mit einer Holzkarosserie versehen, die komplett mit Kunstleder in verschiedenen Farben und Strukturen überzogen war (caisse souple). Diese Modelle waren sehr modisch, nur Kotflügel und Motorhaube waren aus Metall. Es war alles Handarbeit, die von den Arbeitern großes Geschick erforderte.

Foto: Ein Breguet-Flugzeug im Bau im Jahr 1919.

Das erklärt, warum allein diese Fabrik mehr als tausend Menschen beschäftigte: Schreiner, Tischler, Polsterer und Maler. Es wurden auch hölzerne Speichenräder hergestellt, die bei den Renault 12CV, 18CV und 40 CV montiert wurden. Die Speichen waren aus Akazienholz gefertigt und wurden mit einer hydraulischen Presse gepresst. Zwei oder drei Jahre später wichen die lederbezogenen Karosserien Holz mit Metallverkleidungen, so dass nun Blecharbeiter in der Fabrik "O" zu arbeiten begannen.

Torpedo

Täglich wurden zwischen 4 und 6 Uhr morgens 40 bis 50 Torpedo-Karosserien aus den Trockenöfen geholt, in denen die lackierten Karosserien die ganze Nacht gestanden hatten. Moderne Spritzkabinen gab es noch nicht, und Zelluloselacke kamen in Frankreich erst 1927 auf.

Da alle Karosserieformen einmal aus der Mode kamen, wurde der Torpedo 1929 durch die geschlossenen Karosserien ersetzt, die erstmals auf einem Fließband produziert wurden. Diese Abteilung zog 1931 in die brandneuen Gebäude auf der Île Seguin um. Die dortigen Fließbänder waren darauf ausgelegt, Autos wie den Monaquatre, Monasix, Celtaquatre, Juvaquatre und Primaquatre in großen Stückzahlen zu bauen.

Züge

Im Werk "O" wurden die Rohstoffe mit der Bahn bis in die Fabrikhalle transportiert. Zu diesem Zweck wurde eine Verbindung mit dem Bahnhof von Sèvres geschaffen, wobei ein Teil der Strecke der Dampfstraßenbahn Louvre-Versailles genutzt wurde. Diese Verbindung wurde später durch eine Strecke zum Bahnhof Issy-les-Moulineaux ersetzt, auf der auch die ersten Renault-Züge eingesetzt wurden, die 1930 im Werk "O" produziert wurden.

Nutzfahrzeuge

Mit dem Umzug der Großserienproduktion wurde im Werk "O" eine Abteilung zur Herstellung von Sonderfahrzeugen nach Kundenwunsch eingerichtet. Diese Tätigkeit war bis dahin hauptsächlich bekannten Karosseriebauern vorbehalten. Im Jahr 1935 lag die Tagesproduktion bei bis zu 35 Fahrzeugen. Gleichzeitig wurden 90 Nutzfahrzeuge hergestellt, vom Lieferwagen mit 500 bis 1.000 kg Nutzlast über Lastkraftwagen (2 bis 7 Tonnen) bis hin zu Omnibussen mit 15 bis 30 Sitzplätzen. Zwischen 1933 und 1939 wurden in der großen Montagehalle auch Caudron-Flugzeuge mit einem Renault-Motor ausgerüstet.

Foto: Im Jahr 1946 wurde die Lkw-Produktion wieder aktiviert.

Estafette

Wir schreiben das Jahr 1960. Die Fabrik "O" war zu einer modernen Produktionsstätte geworden, die mit den später gebauten Fabriken in Flins und Cléon vergleichbar war. Auf den neuen Fließbändern, die 1959 in Betrieb genommen wurden, wurden täglich 210 Fahrzeuge produziert, darunter 70 Einheiten des gerade erst eingeführten Transporters Estafette. Doch das war nur ein Anfang, die Tagesproduktion sollte noch im selben Jahr eine weitaus höhere Zahl erreichen. Alle Elemente wie die Karosserie, der Motor und die Achsen kamen in diesem Gebäude zusammen. Räder und Reifen wurden über ein Hochtransportsystem angeliefert.

Foto: Zwischen 1960 und 1969 montiert Renault die Estafette im Werk "O".

Produktionslinie

In der großen Montagehalle, in der vor dem Zweiten Weltkrieg die Caudron-Flugzeuge hergestellt wurden, herrschte reges Treiben. Das 200 mal 50 Meter große Gebäude hatte ein großes Dach ohne Stütze. Es beherbergte die Produktionslinie für den Voltigeur, Goélette, Galion und fertigte auch Kabinen für verschiedene SAVIEM-LKW.

Holzabteilung

Im Karosseriebau ist das Holz vollständig dem Stahl gewichen, aber es gibt durchaus noch eine Funktion für die Holzabteilung in Form von Böden für LKW-Aufbauten und Verpackungsmaterial für Fahrzeuge, die exportiert wurden. Monatlich wurden noch 1.800 Kubikmeter Holz und 60.000 Quadratmeter hölzerner Nebenprodukte benötigt. Die Abteilung für Chemikalien und Farben befand sich von Anfang an am selben Ort. Aus Sicherheitsgründen hatte man dieses alte Gebäude von den Produktionslinien abgekoppelt. Schließlich gab es noch eine mechanische Abteilung, eine Schweißabteilung und eine Werkstatt, in der weitere Holzprodukte hergestellt wurden, wie zum Beispiel die Trittstufen für Lastwagen und Lieferwagen.

Im Karosseriebau ist das Holz vollständig dem Stahl gewichen, aber es gibt durchaus noch eine Funktion für die Holzabteilung.

Foto: Die 1975 erbaute Hauptverwaltung wurde auf dem Gelände der "O"-Fabrik errichtet. Diese Hauptverwaltung existiert nicht mehr.

Zweitausend Menschen

Im Jahr 1960 arbeiteten zweitausend Menschen in der Fabrik. Einige von ihnen waren schon von Anfang an dabei. Am Anfang, so erinnerten sie sich, wurde die Farbe noch mit einem Pinsel aufgetragen, Schicht für Schicht. Der gesamte Prozess inklusive Trocknung dauerte 48 Stunden, bevor die Endmontage des Autos erfolgen konnte. Eine hochmoderne Estafette aus den Sechzigern wurde in wenigen Minuten komplett gespritzt! Die Zeit steht niemals still.

Zwischen 1969 und 1975 wurde die alte Fabrik komplett abgerissen, um Platz für Bürogebäude zu schaffen, darunter auch die heute wieder verlassene Hauptverwaltung.