Bischof Vitus
Huonder verstorben

Hintergründe seines Wirkens

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Viele Menschen waren überrascht, als sie erfuhren, dass Bischof Vitus Huonder, der am Ostermittwoch von Gott heimgerufen wurde, nicht in Chur sondern in Ecône beerdigt werden sollte. Diese Entscheidung war der Diözese bereits 2022 mitgeteilt worden und wurde dann wenige Tage vor seinem Tod sowohl gegenüber dem Churer Bischof Bonnemain – seinem Nachfolger – als auch gegenüber dem Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. mündlich bekräftigt. Was waren die Gründe, die den ehemaligen Bischof von Chur zu dieser Entscheidung veranlassten? 


Sie lassen sich vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: Er wollte neben dem Bischof beerdigt werden, der so viel für die Kirche gelitten hatte. Das sind seine eigenen Worte. 

Der Weg zur Priesterbruderschaft

Auf Anfrage aus Rom begann Bischof Huonder, die Bruderschaft zu entdecken. Er sprach in einem Interview mit dem YouTube-Kanal Certamen darüber: 

„Mit Schreiben vom 9. Januar 2015 erhielt ich die Bitte, Gespräche mit Vertretern der Priesterbruderschaft St. Pius X. aufzunehmen. Dieses Schreiben stammte von Kardinal Gerhard Müller, dem damaligen Präfekten der römischen Kongregation für die Glaubenslehre. Ziel war es, eine freundschaftliche und menschliche Beziehung zur Bruderschaft aufzubauen. Zum anderen sollten doktrinäre Fragen der Kirche angesprochen werden. Dabei handelte es sich um Fragen im Zusammenhang mit den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) sowie um Fragen zu den römischen Erklärungen der vorangegangenen Jahre. Besonders zu erwähnen sind Fragen zur Liturgie, insbesondere zur authentischen römischen Messe. Weitere Themen betrafen das Kirchenverständnis, die Ökumene, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, den interreligiösen Dialog und die Religionsfreiheit. Diese Mission hat seit dem 9. April 2015 zu regelmäßigen Kontakten mit der Bruderschaft geführt, sei es mit den Generaloberen oder anderen Vertretern.“ 


Diese Kontakte ermöglichten es ihm, die Bruderschaft von innen heraus und nicht nach dem Bild, das die Medien von ihr zeichnen, kennenzulernen. Sie gaben ihm auch die Gelegenheit, die Schriften von Erzbischof Marcel Lefebvre zu erkunden und die doktrinellen Gründe für den Kampf, den er seit dem Konzil und bis zu seinem Tod führte, zu vertiefen. 


„Im Laufe der Kontakte vertiefte ich mich insbesondere in die Biografie und die Schriften des Gründers der Bruderschaft, Erzbischof Marcel Lefebvre. So wurde ich immer vertrauter mit den theologischen Argumenten, den Anliegen und den Zielen der Bruderschaft.“ 


So bat Huonder 2019, als er sein Amt als Diözesanbischof abgeben musste, darum, seine letzten Jahre im Institut Sancta Maria in Wangs verbringen zu dürfen, was ihm von der Kommission Ecclesia Dei ausdrücklich erlaubt wurde. 

Neue Einschätzung der Lage der Kirche

Seit dieser Zeit konnte Bischof Huonder in Ruhe und Gelassenheit dem Studium und dem Gebet nachgehen. Und diese neue Sichtweise führte zu einer Neuorientierung. 


„Die Kontakte mit der Bruderschaft, das Studium ihrer Geschichte und die Vertiefung der theologischen Fragen haben mir einen neuen Blick ermöglicht. Es ist ein neuer Blick auf die letzten siebzig, achtzig Jahre des Lebens der Kirche. Wir können von einer retractatio sprechen, einer neuen Einschätzung der Situation des Glaubens zur Zeit des Konzils und danach. Mir ist klarer geworden, warum die Kirche an den Punkt gelangt ist, an dem sie sich heute befindet. Die Kirche befindet sich heute – im Jahr 2023 – in einer der größten Krisen ihrer Geschichte. Es handelt sich um eine innerkirchliche Krise. Sie hat alle Bereiche des kirchlichen Lebens erfasst: die Verkündigung, die Liturgie, die Pastoral und die Regierung. Es ist eine tiefe Krise des Glaubens. Jeder, der sich in die Entwicklung und das Leben der Bruderschaft vertieft, stößt unwillkürlich auf die Ursache und die Ursprünge dieser Krise. Denn die Bruderschaft ist in gewissem Sinne ein Kind dieser Krise. Sie ist es in dem Maße, in dem ihr Gründer mit der Schaffung dieser Institution die Krise beheben und der Kirche helfen wollte.“ 

Die Krise der Messe

Er entdeckte auch, dass sich im Herzen dieser Glaubenskrise selbst das Drama des Kalvarienbergs verbirgt. Da er nun jeden Tag die heilige Messe von jeher zelebrierte, wie Erzbischof Lefebvre gerne sagte, entdeckte er, dass die Messe nicht nur ein liturgischer Akt ist, sondern dass sie ein Glaubensbekenntnis ist, der Glaube aller Zeiten. 


„Die traditionelle römische Liturgie ist mit einem Glaubensbekenntnis vergleichbar. Sie kann in ihrer Substanz nicht verändert werden. Folglich kann sie auch nicht verboten werden. Mit seiner Bulle schafft Pius V. nicht etwas Neues. Er bekräftigt vielmehr die Legitimität der Glaubenspraxis in dieser Form der Liturgie. Er bestätigt die Echtheit dieses Glaubensbekenntnisses. Ein solches Gut kann den Gläubigen niemals genommen werden. Was im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil mit der absichtlichen Abschaffung des traditionellen Messritus geschehen ist, ist eine Ungerechtigkeit, ein Machtmissbrauch.“ 

Die Krise in der Kirche

Bischof Huonder erkennt daher mit großer Klarheit die Realität der Situation der Kirche. Er zögerte nicht, öffentlich darüber zu sprechen, sowohl in Predigten als auch in Interviews, die über das Internet verbreitet wurden. Gegenüber Certamen äußerte er sich wie folgt:


„Die Kirche befindet sich heute – im Jahr 2023, ich möchte darauf zurückkommen – in einer der größten Krisen ihrer Geschichte. Es handelt sich um eine innerkirchliche Krise. Sie hat alle Bereiche des kirchlichen Lebens erfasst: die Verkündigung, die Liturgie, die Pastoral und die Regierung. Es ist eine tiefe Krise des Glaubens. Das ist es, was wir festgestellt haben. Die Frage ist nun, wie wir diese Krise überwinden können. Lassen Sie es uns gleich vorwegnehmen. Es gibt nur einen Weg aus der Krise: die Rückbesinnung auf die Werte und Glaubenswahrheiten, die man aufgegeben, vernachlässigt oder unrechtmäßig beiseite geschoben hat. Es geht darum, die Entwicklung der letzten 70 Jahre zu überprüfen und einer Revision zu unterziehen. Die Kirche braucht eine Erneuerung in ihrem Kopf und in ihren Mitgliedern. Sie braucht insbesondere eine Erneuerung der Hierarchie, eine Erneuerung des Episkopats und vor allem eine Rückkehr zum sakramentalen und liturgischen Leben. Das sakramentale Leben und das Priestertum – das heißt die Hierarchie – sind in der Tat eng miteinander verbunden.“ 

Biographie

  • Geboren am 21. April 1942 in Trun GR.
  • Besuchte das Gymnasium der Benediktinerschule Disentis. 
  • Studierte von 1965 bis 1971 Philosophie und Theologie in Einsiedeln, Rom und Freiburg.
  • Habilitierte 1990 in Liturgiewissenschaften. 
  • 25. September 1971 Priesterweihe
  • Pfarrer in verschiedenen Pfarreien danach Generalvikar für die Bistumsregion Graubünden, Fürstentum Liechtenstein und Glarus sowie residierender Kanonikus des Domkapitels der Churer Kathedrale. 
  • 6. Juli 2007 Wahl zum Diözesanbischof von Chur
  • 8. September 2007 Bischofsweihe. Sein bischöflicher Wahlspruch lautete „Instaurare omnia in Christo“ – „Alles in Christus erneuern“. 
  • Leitete die Diözese Chur bis zum 21. April 2017 als Diözesanbischof, danach noch als Apostolischer Administrator.
  • Seine letzten Lebensjahre verbrachte der emeritierte Bischof im Institut Santa Maria in Wangs.
  • Nach kurzer, schwerer Krankheit vestorben am 3. April 2024.

Die große Wunde

Papst Benedikt XVI. hatte den Mut zu erklären, dass die verbotene Messe in Wirklichkeit nie verboten worden war. Doch sein Nachfolger widerrief das Motu Proprio Summorum Pontificum durch die in Traditionis Custodes dargelegten Maßnahmen. Bischof Huonder beurteilte diese Maßnahmen gegen die traditionelle Liturgie folgendermaßen: 

„[Diese] Verordnungen ... sind nichts anderes als eine Jagd auf die Gläubigen, die in dieser Liturgie mit Recht den wahren und ursprünglichen Kult der römischen Kirche anerkennen. Die Tatsache, dass sie das Recht haben, die Sakramente in dieser seit Jahrhunderten überlieferten Form zu empfangen, wird frech ignoriert. Es ist die gleiche Unverschämtheit, die nach dem Konzil vorherrschte und damals so viel Leid verursachte.“ 


Und in einem bewegenden Plädoyer wendet sich Bischof Huonder an den Heiligen Vater selbst: 

„Ich möchte den Papst fragen, warum er den Kindern das Brot wegnimmt. Was veranlasst ihn dazu, sie verhungern zu lassen? Was bringt ihn dazu, sie zugrunde gehen zu lassen? Denn sie haben ein Recht auf diese Nahrung – ich betone: auf diese Nahrung – ich betone: sie haben ein Recht. Es ist die Nahrung, von der sich ihre Väter ernährt haben und die sie an sie weitergegeben haben. Es ist nicht ihr eigenes Rezept. Sie haben es nicht selbst zusammengestellt, sozusagen nach eigenem Gutdünken. Sie haben es von denen angenommen, die es treu überliefert haben. Warum nimmt der Papst es ihnen weg und lässt sie verhungern? Warum will er ihnen etwas aufzwingen, das ihnen fremd ist? Unser Herr hat doch gesagt: ‚Ein Hausvater gibt seinem Kind nicht einen Stein, wenn es um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn es um ein Ei bittet‘ (vgl. Mt 7,9 und Lk 11,11-12). Aber hier geht es nicht einmal darum, dass der Papst etwas gibt, sondern dass er seinen Kindern etwas hinterlässt, etwas, das für sie lebenswichtig ist: das heilige Opfer der Vätermesse“. 

„Defunctus adhuc loquitur – Der Verstorbene spricht noch“ 

Hier ist in der Tat die Schlussfolgerung, die er selbst aus seiner Entdeckung der Bruderschaft zog: 


„Ich komme auf den 9. Januar 2015 zurück, auf das römische Schreiben, in dem darum gebeten wurde, Gespräche mit Vertretern der Bruderschaft St. Pius X. aufzunehmen. Trotz widriger Umstände habe ich diesen Auftrag erfüllt – und ich bin immer noch dabei, ihn zu erfüllen. Ich schließe daher mit einer Bitte an die kirchlichen Autoritäten: Ich verlange Gerechtigkeit für die Priesterbruderschaft St. Pius X. Die Untersuchung ihrer Situation erfordert diese Bitte. Es wäre angebracht, dass die Kirche sich bei dieser Gesellschaft entschuldigt, wie sie es in anderen Fällen auch tut. Dies wurde sogar in Fällen von Geistergräbern getan. Hier geht es nicht um Geister, sondern um lebende Personen, Seelen, die ein Anrecht auf die Seelsorge haben, die die Kirche ihnen vor dem Konzil gewährt hat und die auch danach ein dauerhaftes Recht bleibt. Es handelt sich hierbei nicht um ein Privileg oder ein Indult, sondern um ein Recht.“ 


„Es wäre auch angebracht, dass die kirchlichen Autoritäten mit dieser Entschuldigung ihre Dankbarkeit für die von der Bruderschaft geleistete Arbeit und ihre vorbehaltlose Anerkennung für dieses authentische katholische Werk zum Ausdruck bringen.“