Papst Pius XII. veröffentlichte am 31. Mai 1956 die Apostolische Konstitution Sedes sapientiae. Darin geht er auch auf die Priester- und Ordensberufungen ein. Er erklärt sehr schön, dass bei der Berufung ein doppeltes Wesenselement vorhanden sein muss, nämlich ein göttliches und ein kirchliches. Schauen wir die beiden Wesenselemente etwas genauer an.
Dem hl. Paulus wurde auf dem Weg nach Damaskus eine plötzliche und übernatürliche Erleuchtung von Seiten Gottes zuteil. Sie war verbunden mit einer solchen Gewissheit, dass ein Zweifel ausgeschlossen und eine Weigerung schwer sündhaft erschien. Diese Art von Berufung tritt äußerst selten auf. Es wäre vermessen darauf zu bauen, dass man von Gott auf solch wunderbare Weise erleuchtet wird.
Im Normalfall fühlt sich der junge Erwachsene über einen längeren Zeitraum vom geistlichen Stand angezogen. Er besitzt das Verlangen, ganz Gott anzugehören. Sein Wille strebt nach Ganzhingabe, sein Herz ist zu groß für die Erde. Neben der Liebe zu Gott brennt in ihm der Eifer für die Seelen. Schließlich bringt der junge Erwachsene auch alle für den geistlichen Stand notwendigen Fähigkeiten mit und ist überzeugt, dass diese im geistlichen Stand am besten zur Entfaltung kommen, er in diesem Stand auf Erden am glücklichsten wird und am leichtesten sein Heil erlangen kann. Soweit die wichtigsten Zeichen einer Berufung durch Gott.
Auch die rechtmäßigen Diener der Kirche müssen rufen. Der römische Katechismus sagt: „Diejenigen sind als von Gott berufen zu bezeichnen, die von den rechtmäßigen Dienern der Kirche berufen werden.“ Die kirchlichen Oberen müssen folglich jede einzelne Berufung prüfen.
Sie müssen erstens schauen, ob die Zeichen für die göttliche Berufung vorhanden sind. Sie dürfen niemanden ermutigen oder zulassen, bei dem die Zeichen der göttlichen Berufung fehlen.
Zweitens müssen die kirchlichen Oberen darauf achten, ob die Gaben und Eigenschaften für die Erfüllung der Pflichten und Aufgaben im Priester- und Ordensleben vorhanden sind.
Der Ruf der Kirche ist am deutlichsten spürbar bei der Erteilung der verschiedenen Weihen. Die Kandidaten werden jeweils mit folgenden Worten aufgerufen: „Accedant, qui ordinandi sunt – es mögen hinzutreten, die geweiht werden sollen.“ Liebe Gläubige, Sie kennen das, wenn Sie schon einmal bei Weihen dabei waren: Jeder wird persönlich mit seinem Namen aufgerufen, sogar sein Ort, seine Diözese und sein Herkunftsland werden angegeben. Es ist wirklich ein ganz persönlicher Ruf.
Nach einer im Gebet durchwachten Nacht „wählte Jesus zwölf von seinen Jüngern aus, die er Apostel nannte“ (Lk 6,13). Sicherlich rief er sie mit Namen aus der Jüngerschar heraus, die Evangelisten führen die zwölf Erwählten namentlich auf. Sie waren verschieden nach Herkunft und Stand, die einen kamen von ihren Fischerbooten, andere vom Pflug, andere von der Zollstätte. Gott hat die Apostel mit den natürlichen und übernatürlichen Gaben ausgestattet, die für ihre große Aufgabe notwendig waren. So tut er es auch mit denen, die er für den Priester- oder Ordensstand berufen hat. Auch eine besondere Vorsehung wurde ihnen zugedacht, die ihre äußeren Lebensumstände so lenken sollte, dass zur gegebenen Zeit der Ruf der Kirche ordnungsgemäß an sie ergehen konnte. Der Heilige Geist übernahm die Führung des göttlichen Ratschlusses. Er behütete mit besonderer Liebe die in der hl. Taufe geschenkten Gaben und Gnaden und suchte sie zu entfalten. Mögliche Jugendverirrungen machte er wieder gut, so dass sie kein Hindernis für die Berufung sein würden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt rückte er das Ideal des Priester- oder Ordenslebens als hohes, erstrebenswertes Ideal vor die Seele. Er weckte die Begeisterung für dieses Ideal in der Seele des Berufenen. Vielleicht musste er sie durch manche äußere und innere Schwierigkeit hindurch retten, bis das hohe Ziel durch den Ruf der Kirche erreicht war. Erst die Ewigkeit wird den Schleier über das stille, zielbewusste Wirken des Heiligen Geistes lüften.
Für diejenigen, die der Berufung gefolgt sind, führt dieser Rückblick zur Dankbarkeit und Treue. Gott erwartet von denen, die er ohne Verdienst einzig aus reiner Liebe berufen hat, dankbare Gegenliebe. Papst Pius XI. mahnt in seinem Rundschreiben über das Priestertum: „Schaut auf eure Berufung, das wird euch eine immer größere Wertschätzung jener Gnade geben, die euch mit den heiligen Weihen zuteilgeworden ist. Es wird euch anspornen, würdig des Berufes zu wandeln, zu dem ihr berufen seid.“
Der hl. Petrus schreibt in seinem zweiten Brief: „Brüder, seid darauf bedacht, eure Berufung und Auserwählung durch gute Werke sicherzustellen.“
Wenn der Ruf Gottes an einen Menschen ergeht, dann darf der Mensch nicht gleichgültig bleiben. Im Alten Testament lesen wir in der Genesis folgendes: „Gott stellte Abraham auf die Probe. Er sagte zu ihm: Abraham! Der antwortete: Adsum – hier bin ich“ (Gen 22,1). Das war ein namentlicher Aufruf, eine ganz persönliche Einladung.
So wie Abraham damals das Adsum gesprochen hat, antworten die Weihekandidaten bei der Tonsur und allen sieben Weihen. Die Kirche wollte in ihrer Weisheit und ihrer jahrhundertelangen Erfahrung jedoch nicht, dass das erste Adsum ein endgültiges Ja sei. Die Kandidaten sollen sich weiter prüfen, ob der Weg, für den sie sich entschieden haben, nicht zu steil oder die Aufgabe zu schwierig sei.
Nach der Subdiakonatsweihe oder der ewigen Profess bei den Ordensleuten, d. h. mit der letzten endgültigen Entscheidung, gibt es kein Zurück mehr. Die helfende Hand Gottes wird die Berufenen ihr Leben lang halten und führen. Die Gottgeweihten ihrerseits werden stets Gott vertrauen und ihn um seine Hilfe bitten, damit sie dem eingeschlagenen Weg treu bleiben. „Meine Gnade sei dir genug, die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung“, sagt der Herr zum hl. Apostel Paulus (2 Kor 12,9).
Wir feiern heute das Fest der hl. Katharina von Siena, darum möchte ich auch ein paar Worte über diese Heilige sagen.
Schon mit sieben Jahren gelobte sie ewige Jungfräulichkeit. Als sie zwölf Jahre alt war, wollten die Eltern sie verheiraten, doch sie widersetzte sich dem und schnitt, um zu zeigen, wie ernst es ihr war, ihre schönen Haare ab. Ihr Vater und vor allem die Mutter waren darüber sehr erbost und verlangten von ihr so viele Arbeiten, dass sie keine Zeit zum Gebet finden sollte. Sie hielten sie wie ein Dienstmädchen. Doch sie hat durch diese äußeren schwierigen Umstände immer mehr das innere Gebet bei allen Beschäftigungen gepflegt und sich „eine Zelle in ihrem Herzen geschaffen“, wie sie selbst sagte. Dadurch hat Gott sie im innerlichen Leben sehr weit geführt und so ist sie die berühmte Mystikerin geworden.
Möge die hl. Katharina uns helfen, um Berufungen zu beten, sie, die selbst ein so hervorragendes Beispiel des Starkmutes ist, mit dem man der Berufung trotz Schwierigkeiten folgen muss. Flehen wir aus ganzem Herzen um viele heilige Berufungen und antworten wir großherzig, wenn der Ruf an uns oder an jemanden aus unserer Familie ergeht. Sie werden erfahren: Wer diesem Rufe Gottes folgt, den beschenkt der gute Hirte mit tiefer Freude. Amen.